C03 – Paralleles Planen als Ressource für motorische Fertigkeiten und Gedächtnis beim Menschen

C03

Ereignisse in einer bestimmten Reihenfolge vorauszusehen und zu planen ist für unseren Alltag unerlässlich. Unser Ziel ist es, trainierbare und übertragbare Repräsentationen von Reihenfolge für Gedächtnis, Navigation und Bewegung im menschlichen Gehirn aufzudecken, welche als kognitive Reserve Tau-Pathologie im medialen Temporallappen kompensieren können. Unser multidimensionaler Ansatz identifiziert mittels Magnetenzephalographie, transkranieller Magnetstimulation und PET makroskopische Schaltkreise, die über Domänen hinweg bei jungen und älteren Menschen Reihenfolge repräsentieren.

Gruppenleitung

SFB 1436 Mitglied Elena Azañón

Dr. Elena Azañón

SFB 1436 Mitglied Max-Philipp Stenner

Dr. med. Max-Philipp Stenner

Dr. Elena Azañón

Elena Azañón studierte Psychologie an der Universität von Barcelona. Nach ihrer Doktorarbeit bei Salvador Soto-Faraco erhielt sie ein Marie-Curie-Stipendium, um am Institute of Cognitive Neuroscience (University College London) in der Gruppe von Patrick Haggard zu arbeiten (2012-2014). Nach Abschluss ihrer ersten Postdoc-Stelle setzte sie ihre wissenschaftliche Arbeit an der Birkbeck University London als Senior Postdoc in der Arbeitsgruppe von Matthew Longo fort (2014-2018). Seit 2018 ist sie mit einer Dorothea-Erxleben-Gastprofessur an der Fakultät für Naturwissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg tätig. Derzeit leitet sie das Somatosensorik- und Körperwahrnehmungslabor am Leibniz-Institut für Neurobiologie und an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg als Junior Research Leader.

Dr. med. Max-Philipp Stenner

Max-Philipp Stenner ist Leiter des Motor Learning Lab am Leibniz-Institut für Neurobiologie, Arzt an der Klinik für Neurologie der Otto-von-Guericke-Universität und Programmsprecher für das Forschungsprogram Action am LIN. In seiner Forschung, die durch ein Freigeist-Stipendium der Volkswagenstiftung gefördert wird, untersucht er, wie menschliche motorische Kontrolle und Wahrnehmung beim motorischen Lernen zusammenwirken und wie unser subjektives Erleben von Kontrolle aus dieser Interaktion resultiert. Als klinisch tätiger Wissenschaftler interessiert er sich besonders für das subjektive Erleben von Kontrolle bei neurologischen und neuropsychiatrischen Störungen, insbesondere bei Bewegungsstörungen. Seine Hauptkompetenz liegt in der Kombination von Bewegungsanalyse, Psychophysik und nicht-invasiver sowie invasiver Neurophysiologie beim Menschen, einschließlich Magnet- und Elektroenzephalographie sowie intrakranieller und spinaler Aufzeichnungen lokaler Feldpotentiale.

Gruppenmitglieder

SFB 1436 Mitglied Anwesha Das

Anwesha Das

SFB 1436 Mitglied Alexandros Karagiorgis

Alexandros Karagiorgis

Anwesha Das

Anwesha Das ist Doktorandin am Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg und arbeitet in den Gruppen von Dr. Azañón und Dr. Stenner. Bevor sie im September 2021 mit ihrer Promotion begonnen hat, absolvierte sie ihr Masterstudium in Neurowissenschaften am National Brain Research Centre in Indien. Im SFB1436 gehört sie zum Teilprojekt C03 und untersucht die kognitiven Ressourcen, die mit dem Erlernen motorischer Fähigkeiten bei gesunden Menschen verbunden sind. Zur Aufklärung dieser Fragen werden Verhaltensanalysen und Magnetoenzephalographie (MEG)-Daten herangezogen.

Alexandros Karagiorgis

Geboren in Thessaloniki, Griechenland, begann Alexandro Karagiorgis seine musikalische Laufbahn mit einem Studium der Musikwissenschaft an der Aristoteles-Universität Thessaloniki. Sein tiefes Interesse an den Wissenschaften und den Grundlagen der Musikwahrnehmung, der Kognition und der motorischen Leistung führte ihn zu den Neurowissenschaften. Er arbeitete als Forschungsassistent am Labor für medizinische Physik der AUTH und führte EEG-Forschungen zur multisensorischen Wahrnehmung durch. Als Doktorand im Projekt C03 des SFB1436 untersucht Alexandros Karagiorgis die Wechselwirkungen von Aufmerksamkeit und motorischem Lernen.

Reihenfolge in Gedächtnis und Handlung

Die Inhalte unserer Erinnerungen und die Bewegungen, die unsere Handlungen ausmachen, folgen oft einer bestimmten Reihenfolge. Trotz der grundlegenden Rolle von Reihenfolge für Gedächtnis und Handlung ist unklar, wie Neuronen Reihenfolge kodieren. Verhaltensdaten weisen ähnliche, charakteristische Reihenfolgefehler bei Gedächtnisaufgaben wie bei Handlungsaufgaben auf. Dies könnte darauf hindeuten, dass die neuronale Kodierung von Reihenfolge für Gedächtnis und Handlung ähnlichen Prinzipien unterliegt oder sogar durch partiell überlappende neuronale Schaltkreise erfolgt, mit wichtigen Implikationen für kognitive Reserve und Transfer. Kann man die im Alter typischerweise beobachteten Defizite im Gedächtnis für Reihenfolgen durch Training von Bewegungsabläufen abmildern?

Ähnliche Kodierung von Reihenfolge über Domänen hinweg?

Viele Modelle zur Kodierung von Reihenfolge folgen dem Prinzip von Competitive Queuing, das viele charakteristische Phänomene im Verhalten in Aufgaben erklären kann, in denen Reihenfolge eine herausragende Rolle spielt. Competitive Queuing geht von zwei interagierenden Ebenen der Kodierung von Reihenfolge aus, einer parallelen Planungsebene, auf der Repräsentationen mehrerer Elemente einer Reihenfolge gleichzeitig aktiv sind, sowie einer kompetitiven Auswahlebene, auf der Elemente auf der Grundlage ihrer aktuellen Priorität um die Auswahl konkurrieren. Kornysheva et al. (2019) identifizierten in menschlichen Magnetoenzephalographie (MEG)-Daten einen rangsensitiven Gradienten gleichzeitiger Repräsentationen mehrerer bevorstehender Bewegungen in einer motorischen Sequenz noch vor dem Beginn der Sequenz, der im parahippocampalen Areal lokalisiert ist, was mit Competitive Queuing vereinbar ist. Vorläufige Ergebnisse aus unseren Laboren deuten auf einen ähnlichen Gradienten hin, wenn Menschen Tonfolgen aus dem Gedächtnis abrufen, ohne dass sequenzielle Bewegungen stattfinden. Neben dieser gemeinsamen Signatur deuten Studien auf eine potenzielle Überlappung der makroskopischen Schaltkreise hin, welche die Verarbeitung von Reihenfolgen für Gedächtnis und Handlung kodieren, insbesondere im präfrontalen Kortex und im medialen Temporallappen (Averbeck et al., 2002; DeVito & Eichenbaum, 2011). Dies ist wichtig, da teilweise überlappende Schaltkreise, welche Reihenfolge für Gedächtnis und Handlung kodieren, ein Substrat für Transfer zwischen den Domänen darstellen könnten.

Ein früher Marker für präklinische Tau-Pathologie?

Die Fähigkeit, sich an Informationen in einer bestimmten Reihenfolge zu erinnern, nimmt mit zunehmendem Alter ab (Allen et al., 2015). Es gibt Hinweise aus der Neuropsychologie, die darauf hindeuten, dass Defizite im Gedächtnis für Reihenfolgen ein früher Indikator für die Alzheimer-Krankheit darstellen und dabei helfen könnten, die Alzheimer-Krankheit von einer frontotemporalen Demenz und dem normalen Altern zu unterscheiden (Bellassen et al., 2012). Um Defizite bei der Verarbeitung von Reihenfolge als frühen Marker von Alzheimer-Pathologie zu etablieren, ist es jedoch notwendig, einen Zusammenhang herzustellen zwischen Defiziten im Gedächtnis für Reihenfolge und der Tau-Pathologie, insbesondere in präklinischen Stadien. Diese Verbindung sollte die Fähigkeit, Reihenfolgen korrekt wiederzugeben, für Gedächtnis und Handlung getrennt betrachten, um so das Reservepotenzial überlappender Schaltkreise für die Verarbeitung von Reihenfolge einschätzen zu können.

Ziel des Projekts

Unser Ziel für die zweite Förderperiode ist es, die Allgemeingültigkeit über Domänen, das Potenzial für Transfer und die neuronalen Schaltkreise von Competitive Queuing Gradienten für die Repräsentation von Reihenfolge zu verstehen sowie deren Anfälligkeit für Pathologie zu bestimmen. Insbesondere wollen wir herausfinden, inwieweit neuronale Schaltkreise, welche Reihenfolge kodieren, von Handlung und Gedächtnis gemeinsam genutzt werden, ob Trainingseffekte über Domänen hinweg übertragbar sind und inwieweit präklinische Tau-Pathologie im medialen Temporallappen Auswirkungen auf die Repräsentationen von Reihenfolge für Gedächtnis und Handlung hat.

Unser Ansatz

Unser Ansatz kombiniert maschinelles Lernen mit menschlichen MEG-Daten, die während motorischer Sequenzaufgaben und Gedächtnisaufgaben zu Reihenfolge gewonnen wurden. Darüber hinaus werden wir eine mehrtägige Trainingsinterventionsstudie mit einem etablierten Protokoll durchführen, welches die Planung sequenzieller Bewegungen verbessert (Ariani et al., 2021), und die Übertragung der Trainingseffekte auf die Gedächtnisleistung in Bezug auf die Enkodierung von Reihenfolge untersuchen, sowie die damit verbundenen Competitive Queuing Gradienten in MEG-Daten vor und nach dem Training. Außerdem werden wir das Ausmaß von Tau-Pathologie im medialen Temporallappen gesunder älterer Menschen mittels Positronen-Emissions-Tomographie quantifizieren und dessen Auswirkungen auf Gedächtnisaufgaben zu Reihenfolge bestimmen.

Allen, T. A., Morris, A. M., Stark, S. M., Fortin, N. J., & Stark, C. E. L. (2015). Memory for sequences of events impaired in typical aging. Learning and Memory, 22(3), 138–148. https://doi.org/10.1101/lm.036301.114.

Ariani, G., Shahbazi, M., & Diedrichsen, J. (2023). Cortical areas for planning sequences before and during movement. BioRxiv . https://doi.org/doi: https://doi.org/10.1523/ENEURO.0085-21.2021

Averbeck, B. B., Chafee, M. V., Crowe, D. A., & Georgopoulos, A. P. (2002). Parallel processing of serial movements in prefrontal cortex. Proceedings of the National Academy of Sciences, 99(20), 13172–13177. https://doi.org/10.1073/pnas.162485599.

Bellassen, V., Iglói, K., de Souza, L. C., Dubois, B., & Rondi-Reig, L. (2012). Temporal order memory assessed during spatiotemporal navigation as a behavioral cognitive marker for differential Alzheimer’S disease diagnosis. Journal of Neuroscience, 32(6), 1942–1952. https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.4556-11.2012

DeVito, L. M., & Eichenbaum, H. (2011). Memory for the order of events in specific sequences: Contributions of the hippocampus and medial prefrontal cortex. Journal of Neuroscience, 31(9), 3169–3175. https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.4202-10.2011

Kornysheva, K., Bush, D., Meyer, S. S., Sadnicka, A., Barnes, G., & Burgess, N. (2019). Neural Competitive Queuing of Ordinal Structure Underlies Skilled Sequential Action. Neuron, 101(6), 1166-1180.e3. https://doi.org/10.1016/j.neuron.2019.01.018

EEG Messung am Gehirn von Proanden

Unsere Hypothesen

Wir gehen davon aus, dass die Verarbeitung von Reihenfolge für Gedächtnis und Handlung teilweise überlappende makroskopische Schaltkreise im dorsolateralen präfrontalen Kortex und im medialen Temporallappen sowie eine gemeinsame neuronale Populationssignatur umfasst – eine parallele, entsprechend der Reihenfolge gewichtete Repräsentation bevorstehender (antizipierter) Ereignisse in einer Sequenz, in Übereinstimmung mit Competitive Queuing. Darüber hinaus stellen wir die Hypothese auf, dass Verbesserungen in der Planung sequenzieller Bewegungen durch Training auf die Leistung in Gedächtnisaufgaben zu Reihenfolge übertragen werden. Schließlich erwarten wir, dass ältere Menschen mit hoher Tau-Akkumulation im medialen Temporallappen im Vergleich zu altersgleichen Personen mit niedrigen Tau-Konzentrationen verminderte Competitive Queuin-Gradienten und eine geringere Leistung in Gedächtnisaufgaben zu Reihenfolge aufweisen.

Publikationen des Projektes C03