Warum Früherkennung bei Alzheimer so wichtig ist

von Isabell Spilker

Die Alzheimer-Demenz stellt eine der größten Herausforderungen im Bereich der Neurodegeneration dar. Ein wesentlicher Fortschritt in der Früherkennung der Krankheit wird am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Magdeburg vorangetrieben. Darüber hinaus geben neue Medikamente Hoffnung im Kampf gegen die Krankheit.

Emrah Düzel, Gruppenleiter und Klinische Koordination am DZNE sowie Direktor des Instituts für Kognitive Neurologie und Demenzforschung (IKND) an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Foto: DZNE

Alzheimer, die häufigste Form der Demenz, ist eine neurodegenerative Erkrankung, die oft schon Jahrzehnte vor den ersten klinischen Symptomen beginnt. Vor allem Gedächtnisprobleme sind ein Frühsymptom der Krankheit, allerdings kommen sie häufig auch bei gesunden älteren Menschen vor. Hier gilt es früh einzugreifen, denn experimentelle und klinische Daten zeigen, dass kognitives und physisches Training Gedächtnisfunktionen älterer Menschen verbessern können ­– auch, wenn sie sich möglicherweise im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit befinden.
Emrah Düzel leitet in Magdeburg am DZNE die Klinische Forschung mit Schwerpunkt auf der Alzheimer-Krankheit und ist Direktor des Instituts für Kognitive Neurologie und Demenzforschung (IKND) an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Er erklärt: „Die Erkrankung beginnt mit Ablagerung von giftigen Proteinen im Gehirn. Die ersten Anzeichen dafür kann man schon bis zu 20 Jahre vor Beginn einer Demenz sehen.“ Eine frühzeitige Diagnose sei entscheidend, um das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen.

Alzheimer: Oft zu spät erkannt

Alzheimer entsteht durch eine Kombination aus genetischen Ursachen und Umweltfaktoren. Altersbedingte Veränderungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ungesunde Lebensgewohnheiten und chronische Entzündungen tragen außerdem zur Krankheit bei. Ein Schlüsselmechanismus der Entstehung ist die Bildung von so genannten Beta-Amyloid-Plaques im Gehirn, welche die Kommunikation zwischen den Nervenzellen stören und zur Neurodegeneration beitragen. Darüber hinaus kommt es zur Verklumpung sogenannter Tau-Proteine, auch als neurofibrilläre Tangles bekannt. Tau-Proteine helfen normalerweise, die Struktur der Zellen zu stabilisieren und den Transport von Nährstoffen innerhalb der Zellen zu organisieren. Bei Alzheimer allerdings verändern sich diese Tau-Proteine und beginnen, sich ineinander zu verdrehen.

Diese Prozesse führen zu Synapsenverlust und neuronaler Degeneration, was Gedächtnis und Kognition beeinträchtigt. Alzheimer wird oft diagnostiziert, wenn eine Person im mittleren bis späten Erwachsenenalter ist, typischerweise ab dem Alter von 65 Jahren. Die Diagnose erfolgt in der Regel, wenn die Krankheit fortgeschritten ist und die kognitiven Symptome merklich den Alltag der betroffenen Person beeinträchtigen. Die frühzeitige Erkennung verbessert nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen und deren Familien erheblich, sondern ermöglicht eine bessere medizinische Versorgung und gezielte Behandlung.

Eine App zur Früherkennung

Das Team am DZNE entwickelte deswegen gemeinsam mit der Universität Magdeburg und dem Magdeburger Start-Up neotiv eine App, die darauf ausgelegt ist, die Frühzeichen der Erkrankung zu erkennen und somit eine rechtzeitige Intervention zu ermöglichen. Die App namens „neotivCare“ enthält eine Reihe sensibler kognitiver Tests, die spezifische Gehirnregionen ausleuchten und auf subtile kognitive Veränderungen hinweisen. Diese Tests sind darauf ausgelegt, frühe Anzeichen von Alzheimer zu erkennen, die in herkömmlichen Tests möglicherweise nicht erfasst werden. Ein wesentliches Merkmal der App ist ihre Praktikabilität. Patienten und Patientinnen können die Tests in ihrer eigenen Zeit und Umgebung durchführen, was den Aufwand für Arztbesuche und aufwändige Tests reduziert. Die Ergebnisse werden dem behandelnden Arzt oder der Ärztin zur Verfügung gestellt, der basierend auf diesen entscheiden kann, ob weitere Untersuchungen notwendig sind. „Unsere Tests sind so entwickelt, dass sie in der Praxis eines niedergelassenen Arztes angewendet werden können, ohne dass eine aufwendige vor-Ort-Untersuchung notwendig ist“, erklärt Düzel. „Niedergelassene Ärzte und Ärztinnen sollen diese App verschreiben können, damit die Patienten und Patientinnen ausreichend Zeit haben, die Tests zu Hause durchzuführen. Das Resultat berücksichtig dann auch Schwankungen über einen längeren Zeitraum.“

Die App wird bereits weltweit in klinischen Studien verwendet. In Deutschland wird „neotivCare“ bereits in Pilotprojekten mit einigen Krankenkassen eingesetzt und hat in einer größeren Studie mit über 700 Patienten und Patientinnen vielversprechende Ergebnisse gezeigt. Diese Studie wurde unabhängig evaluiert und zeigt, dass die App eine wirksame Ergänzung zur traditionellen Diagnosemethodik sein kann – vor allem, um frühzeitig mit der Behandlung zu starten und Lebensstiländerungen vorzunehmen.

Fortschritte in der Behandlung

Neben der Früherkennung sind auch neue Behandlungsmöglichkeiten entscheidend, um die Lebensqualität der Patienten und Patientinnen zu verbessern. Ein großes Problem: In der medikamentösen Therapie der Alzheimer-Krankheit gab es bisher keine die Ursachen bekämpfenden Wirkstoffe, lediglich gegen die Nebenwirkungen der Krankheit. Zwei vielversprechende Medikamente, die kürzlich die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Gemeinschaft auf sich gezogen haben, sind Lecanemab und Donanemab. Lecanemab erhielt 2023 in den USA die volle Zulassung. Die intravenöse Infusionstherapie soll die Beta-Amyloid-Plaques im Gehirn entfernen und zeigte in klinischen Studien eine Verlangsamung des Fortschreitens der Krankheit. Binnen eineinhalb Jahren verzögerte das Mittel den geistigen Abbau um gut ein Viertel. Für Europa sprach sich die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) im Sommer allerdings gegen die Zulassung von Lecanemab aus. Viele Fachleute und Patientenorganisationen reagierten enttäuscht. Aktuell überprüft die EMA ihren Beschluss. 

Ein großes Potenzial zeigt auch der Wirkstoff Donanemab, der ebenfalls Beta-Amyloid-Plaques im Gehirn entfernt und im Juli 2024 in den USA zugelassen wurde. Bei 75 Prozent der Studienteilnehmer:innen, die das Medikament in einem frühen Stadium der Krankheit erhielten, waren die Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn  nach 76 Wochen Therapie fast vollständig abbaut. Auch wenn der Wirkstoff den Krankheitsverlauf weder umkehren noch gänzlich stoppen kann, besteht doch die Hoffnung, dass er den geistigen Verfall der Krankheit verzögert. Sowohl Lecanemab als auch Donanemab sind jedoch Wirkstoffe, die ausschließlich an Menschen mit Alzheimer im frühen Stadium gerichtet sind, wenn Symptome die Alltagstätigkeiten der Betroffenen noch wenig beeinträchtigen. Aus diesem Grund, spielt Früherkennung bei Alzheimer eine ganz entscheidende Rolle.

Der Weg nach vorne

Die Fortschritte in der Früherkennung und Behandlung eröffnen neue Möglichkeiten im Umgang mit Alzheimer. Die App aus Magdeburg könnte in der Praxis eine breite Anwendung finden und vielen Menschen helfen, die Krankheit frühzeitig zu erkennen. Die Kombination aus innovativer Früherkennung und neuen therapeutischen Ansätzen könnte die Zukunft der Alzheimer-Behandlung maßgeblich verändern und vielen Betroffenen eine bessere Lebensqualität ermöglichen.

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