C05
Kortikale Wanderwellen neuronaler Aktivität können kognitive Funktion beeinflussen. Theorie und Computermodellierung sagen voraus, dass die Stärke und das Muster der eingehenden Konnektivität die Wellen so steuern können, dass sie die kognitive Leistung verändern. In diesem Projekt werden wir die Beziehung zwischen kortikalen Wellen auf verschiedenen räumlichen und zeitlichen Skalen, neuronaler Dynamik und kognitiver Leistung experimentell und computionell untersuchen. Dazu verwenden wir neurophysiologische Aufzeichnungen und direkte Eingriffe in das perzeptive Entscheidungsnetzwerk um V5/MT und dessen Verbindungen im Primatengehirn. Das Verständnis des Zusammenhangs zwischen lokalen Wellenmustern und globalen, inter-arealen Wellen wird neue Einblicke in die Steuerung kognitiver Funktionen durch neuronale Ressourcenverteilung eröffnen.
Gruppenleitung

Prof. Dr. Kristine Krug

Prof. Dr. med. Petra Ritter
Gruppenmitglieder

Amy Addlesee

Prof. Dr. Andrew Parker

Dr. Sascha Ziegler
Gehirnnetzwerke für wahrnehmungsbasierte Entscheidungsfindung
Wahrnehmungsbasierte Entscheidungsfindung ist der Prozess, bei dem sensorische Informationen integriert und bewertet werden, um eine Verhaltensentscheidung zu treffen. Die lokale Aktivität von Neuronen im extrastriaten visuellen, parietalen und präfrontalen Kortex von Primaten trägt direkt zu Wahrnehmungsentscheidungen bei (Gold, Shadlen 2007; Krug et al. 2013). Kognitive Prozesse wie Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis oder Belohnung können die Entscheidungsleistung ebenfalls beeinflussen; sie werden durch Alterung oder psychische Störungen beeinträchtigt (Takagaki, Krug 2020). Als neuronaler Mechanismus wird eine veränderte Modulation der lokalen Aktivität in visuellen Schaltkreisen durch den präfrontalen und posterioren parietalen Kortex vermutet. Um diese Hypothese zu testen, untersuchen wir die Interaktionen zwischen dem visuellen Kortex und entfernten Regionen und ihre Auswirkungen auf die lokale Ressourcenallokation bei der wahrnehmungsbezogenen Entscheidungsfindung.
Kortikale Wellen der Aktivität
Der zerebrale Neokortex weist mehrere charakteristische Eigenschaften und Funktionszustände auf, die wellenförmige oder oszillierende physiologische Prozesse darstellen. Diese zeitlich rhythmischen Ereignisse ändern sich zwischen Schlaf- und Wachzustand, bei Aufmerksamkeitsverlagerungen und bilden im spezifischsten Fall die Grundlage für die Kodierung der räumlichen Umgebung durch Neuronen im Hippocampus-Archikortex. Darüber hinaus werden pathologische Veränderungen dieser Vorgänge mit dem Auftreten pathologischer Hirnzustände wie Epilepsie und Migräne in Verbindung gebracht, bei denen die kortikale Reaktion durch rhythmische Aktivität dominiert wird. Neue Forschungsergebnisse aus dem Labor unseres Mitarbeiters John Reynolds zeigen einen Zusammenhang zwischen diesen wellenförmigen Signalen und der Leistung bei kognitiven Aufgaben (Davis et al. 2020), aber es bleiben grundlegende Fragen zur neuronalen Berechnung in Gegenwart physiologischer wellenförmiger Ereignisse offen. Kortikale Wanderwellen sind in den meisten Teilen des Gehirns über verschiedene Frequenzbänder und räumliche Skalen vorhanden (Muller et al. 2018). Es wird angenommen, dass Gedächtnisprozesse (Muller et al. 2016; Zhang et al. 2018; Bhattacharya et al. 2022), visuelle Wahrnehmung (Davis et al. 2020; Han et al. 2008; Lozano- Soldevilla & VanRullen 2019; Muller et al. 2014), motorische Planung und Ausführung (Rubino et al. 2006; Takahashi et al. 2011) sowie viele andere Funktionen durch Wanderwellen unterstützt werden. Jüngste Studien nehmen an, dass kortikale Wanderwellen im Mittelpunkt der Hirnaktivität stehen (Bolt et al. 2022; Raut et al. 2021), aber möglicherweise durch herkömmliche Analysetechniken verdeckt wurden (Muller et al. 2018; Alexander et al. 2015). Während experimentelle Beobachtungen von kortikalen Wanderwellen zahlreich sind, hinkt unser Verständnis der ihnen zugrunde liegenden Mechanismen hinterher.
Wellenartige Dynamik bei der Entscheidungsfindung
Das visuelle Areal V5/MT im Herzen des Entscheidungsnetzwerks repräsentiert bei Makakenaffen perzeptuelle Entscheidungssignale für 3D- und Bewegungsfiguren (Krug 2020; Wasmuht et al. 2019; Krug et al. 2013). Beim Marmoset beeinflussen Wanderwellen in V5/MT die Wahrnehmungsleistung (Davis et al. 2020). Da die kritischen kortikalen Stadien dieses Schaltkreises kausal mit der Wahrnehmungsleistung verknüpft sind, ist dies der ideale Schaltkreis und die ideale Aufgabe, um zu untersuchen, wie bei Primaten intra-areale Wanderwellen durch inter-areale Wanderwellen geformt werden und wie beide die Wahrnehmungsleistung steuern. Es wird angenommen, dass die Dynamik und die Frequenz dieser Wanderwellen den Informationsfluss durch das Netzwerk koordinieren und somit ein potenzieller Kandidat für pathologische Veränderungen mit Leistungsabfall sind, entweder weil die lokale Konnektivität oder Funktion innerhalb eines Bereichs oder zwischen den Bereichen gestört ist.
Umfassende Modellierung von Hirnnetzwerken
Die Verwendung von Neuroimaging in Verbindung mit FUS ermöglicht es uns, die funktionelle Konnektivität zwischen Gehirnregionen zu verändern und zu messen. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um die Komplexität der Netzwerke zu erfassen. Faktoren wie die funktionelle und strukturelle Spezifität von Hirnschaltkreisen führen zu vielfältigen Modellrechnungsmöglichkeiten. Jüngste Studien nutzen mathematische Werkzeuge wie das virtuelle Gehirn (VBT), um biologisch plausible Rechenmodelle der Dynamik von Gehirnnetzwerken bei Menschen (Ritter et al. 2013) und Makaken (Shen et al. 2019) zu erstellen. Die Modelle liefern ein mechanistisches Verständnis davon, wie verschiedene Hirnregionen interagieren, um neuronale Informationen zu verarbeiten. Unter Verwendung unserer eigenen Konnektivitätsdaten erstellen wir VBT-Modelle, indem wir die beobachteten Daten reproduzieren, unsere Hypothesen testen und neue Vorhersagen erstellen. Die Vorhersagen werden wiederum anhand von neurophysiologischen und verhaltensbiologischen Daten getestet und ermöglichen so ein quantitatives Verständnis der Dynamik von Entscheidungsnetzwerken und der Folgen von deren Störung.
Gold JI, Shadlen MN. 2007. The neural basis of decision making. Annu Rev Neurosci 30:535-74.
Krug K, Cicmil N, Parker AJ, Cumming BG. 2013. Causal interference with neuronal signals in V5/MT influences perceptual judgments about a stereo-motion task. Current Biology 23:1454-9.
K Krug (2020) Coding perceptual decisions: from single units to emergent signaling properties in cortical circuits. Annual Review of Vision Science 6:387-409.
Ritter P, Schirner M, McIntosh AR, Jirsa VK. 2013. The virtual brain integrates computational modeling and multimodal neuroimaging. Brain Connect 3:121-45.
Shen K, Bezgin G, Schirner M, Ritter P, Everling S, McIntosh AR. 2019. A macaque connectome for large-scale network simulations in TheVirtualBrain. Scientific Data 6:123.
Takagaki K, Krug K. 2020. The effects of reward and social context on visual processing for perceptual decision-making. Current Opinion in Physiology 16, 109-117.
Verhagen L, Gallea C, Folloni D, Constans C, Jensen D, Ahnine H, Roumazeilles L, Santin M, Ahmed B, Lehericy S, Klein-Flügge M, Krug K, Mars RB, Rushworth MF, Pouget P, Aubry JF, Sallet J. 2019. Offline impact of transcranial focused ultrasound on cortical activation in primates. eLIFE 8:e40541.
Ziele und Perspektiven
Ein biologisch plausibles, quantitatives Modell der kognitiven Gehirnmechanismen bei nicht-menschlichen Primaten ist für das Verständnis der grundlegenden neuronalen Mechanismen unserer eigenen kognitiven Funktionen unerlässlich. Die Homologie zwischen Makaken und Menschen ermöglicht eine direkte Übertragung der neuronalen Architektur und der M quantitativen Modelle. Die Kombination von Ansätzen wie hochauflösender Neurobildgebung, Hirnstimulation, Neurophysiologie und Verhalten wird ein detailliertes, vielschichtiges Bild der neuronalen Mechanismen, welche die Entscheidungsfindung beeinflussen, aufzeigen. Insbesondere sollen integrative Modelle der Hirnfunktion ein umfassendes Verständnis der strukturellen und funktionellen Organisation lokaler und weitreichender Hirnnetzwerke und ihrer Interaktionen ermöglichen. Psychische Störungen wie Autismus oder Schizophrenie werden mit einer veränderten funktionellen Konnektivität bestimmter neuronaler Netzwerke in Verbindung gebracht. Daher stellt die neurophysiologische Validierung des FUS-Stimulationsprotokolls eine vielversprechende Perspektive für die Entwicklung nicht-invasiver therapeutischer Eingriffe und Behandlungen beim Menschen dar, um die kognitiven Leistungen des Menschen zu verbessern und wiederherzustellen.