A09 – Gedächtnisressourcen des Mammillarkörpers

A09

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Der Mammillarkörper (MK) ist eines der Hauptziele hippokampaler Projektionen und wichtig für episodische Gedächtnisfunktionen. Bereits im Frühstadium der Alzheimer-Erkrankung sind hippokampale Schaltkreise gestört, wohingegen der MK relativ unbeeinträchtigt bleibt. Projekt A09 wird potenzielle Reservemechanismen des MK aufdecken, um Gedächtnisleistungen des erkrankten Gehirns zu verbessern. Wir haben bereits in vivo Kalziummikroendoskopie im MK entwickelt. Wir werden testen, inwiefern die gezielte Manipulation der neuronalen MK-Aktivität die funktionale Konnektivität zwischen Hippokampus und MK verbessert.

Gruppenleitung

SFB 1436 Mitglied Oliver Barnstedt

Dr. Oliver Barnstedt

SFB 1436 Mitglied Anne Petzold

Dr. Anne Petzold

Dr. Oliver Barnstedt

Oliver Barnstedt ist Leiter der Nachwuchsgruppe „Zelluläre und synaptische Mechanismen der Engrammbildung“ am Institut für Biologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und leitet auch die Nachwuchsgruppe „Multiscale Circuit Analysis“ am European Neuroscience Institute Göttingen (ENI-G). Er promovierte an der Universität Oxford in der Forschungsgruppe von Prof. Scott Waddell, bevor er in der Gruppe von Prof. Stefan Remy während seiner Postdoc-Phase lernte, Zwei-Photonen-Kalzium-Bildgebung im Hippocampus von sich bewegenden Mäusen durchzuführen.

Seine Forschung zielt darauf ab, die Schaltkreis-Dynamik zwischen Neuronen des Hippocampus und nachgeschalteten Projektionszielen zu verstehen, und wie ihre Interaktionen die Verarbeitung von Erinnerungen und deren Umsetzung in adaptives Verhalten ermöglichen. Zu diesem Zweck verwendet seine Gruppe modernste optische Methoden wie In-vivo-Zweiphotonen-Kalziumbildgebung, Optogenetik und Circuit Tracing sowie Algorithmen für maschinelles Lernen und Computer Vision.

Dr. Anne Petzold

Anne Petzold leitet die Gruppe „Neuronale Schaltkreise für Verhaltensanpassung“ am European Neuroscience Institute. Ihre Arbeit zielt darauf ab, herauszufinden, wie periphere Signale des Körpers die neuronale Aktivität in subkortikalen Netzwerken des Gehirns modulieren, um wesentliche angeborene Verhaltensweisen entsprechend den physiologischen Bedürfnissen und den Möglichkeiten der Umwelt anzupassen. Die Gruppe ist spezialisiert auf Einzelphotonen-Mikroendoskopie im sich frei bewegenden Tier sowie auf Zelltyp-spezifische Manipulationen der neuronalen Aktivität und Neuropsychopharmakologie zur Identifizierung und Charakterisierung neuronaler Substrate, die für die Verhaltensregulation relevant sind.

Gruppenmitglieder

Carolin Schumacher

Te-Wei Su

Melika Kashi Zenuzi

Carolin Schumacher

Carolin Schumacher arbeitet in der AG Petzold am European Neuroscience Institute Göttingen und ist seit März 2025 Doktorandin im SFB Projekt A09. Sie interessiert sich besonders für die Erforschung neuronaler Netzwerke und Mechanismen, die Verhalten an eine sich stetig ändernde Umwelt regulieren und von Erfahrungen, innerem Zustand und Lernprozessen abhängen. Ihr Projekt konzentriert sich auf die adaptive Verhaltensregulation durch hypothalamische Netzwerke, mit besonderem Fokus auf die Mammillarkörper und ihre Rolle in Gedächtnis- und Lernprozessen.

Erinnerungen und Demenz

Unsere Erinnerungen sind die Geschichte unseres Lebens – das erste Mal Fahrrad fahren, die Schulabschlussfeier oder das gestrige Fußballspiel. Die Zahl der Fälle von tiefgreifendem und fortschreitendem Gedächtnisverlust – Demenzerkrankungen – nimmt zu. In den kommenden Jahrzehnten werden weltweit bis zu 150 Millionen Menschen an einer Form von Demenz leiden. Um diesen Anstieg aufzuhalten, müssen wir therapeutische Maßnahmen zur Behandlung und bestenfalls zur Vorbeugung von Demenzerkrankungen finden. Um eine Grundlage für die Entwicklung von Therapiestrategien zu schaffen, arbeiten Wissenschaftler weltweit daran, die Bausteine der Gedächtnisbildung zu identifizieren.

Der mysteriöse Mamillarkörper

Der Eckpfeiler des Gedächtnissystems des Gehirns ist der Hippocampus. Das ist auch die Hirnstruktur, die bei Demenzpatienten zuerst degeneriert, was im Verlauf der Krankheit zu einem tiefgreifenden Gedächtnisverlust führt. Damit wir Erinnerungen bilden und behalten können, muss der Hippocampus mit dem Rest des Gehirns kommunizieren. Einer der wichtigsten Kommunikationspartner des Hippocampus ist der Mamillarkörper (MB) – zwei kleine Murmeln an der Unterseite des Gehirns. Wenn der MB geschädigt ist – zum Beispiel durch eine Alkohol-Demenz – haben die Patienten große Schwierigkeiten, sich an die Vergangenheit zu erinnern und neue Erinnerungen zu bilden. Doch trotz eines Jahrhunderts intensiver Forschung ist die genaue Rolle des MB für das Gedächtnis nach wie vor rätselhaft.

Die Ziele unseres Projekts

Unser Projekt zielt darauf ab, die Rolle des Mamillarkörpers bei der Gedächtnisbildung zu verstehen: Ist der Mamillarkörper wichtig für die Speicherung neuer Erinnerungen oder für die Erinnerung an vergangene Erinnerungen, oder beides? Arbeiten alle Nervenzellen im Mamillarkörper gleich oder erfüllen sie unterschiedliche Gedächtnisfunktionen? Leidet der Mamillarkörper unter Demenzerkrankungen – wie der Alzheimer-Krankheit – und wie? Letztendlich wollen wir die Kontrolle über die Nervenzellen im Mamillarkörper erlangen, um den Gedächtnisverlust bei Demenzpatienten zu lindern.

Erinnerungen im Mammillarkörper

Wenn Erinnerungen gebildet werden, reorganisieren sich die Netzwerke der Nervenzellen im Hippocampus und in dessen Kommunikationspartnern. Der Organisations- und Reorganisationsprozess der Verbindungen zwischen Nervenzellen infolge von Erlebnissen wird als neuronale Plastizität bezeichnet. Frühere Forschungen deuten darauf hin, dass der Mamillarkörper während der Bildung von Erinnerungen umfangreiche plastische Veränderungen erfährt. In einem ersten Schritt werden wir mit Hilfe von Fluoreszenzmarkern Gedächtnisspuren im Mamillarkörper von Nagetiergehirnen markieren. In einem zweiten Schritt werden wir Nagetieren beibringen, sich an verschiedene räumliche Orte zu erinnern, an denen sie Leckereien finden. Anschließend schalten wir die Aktivität der Nervezellen im Mamillarkörper mit modernen optogenetischen Methoden ein und aus, um zu testen, inwieweit die Tiere auf diese Nervenzellen angewiesen sind, um sich an den Ort der Leckereien zu erinnern.

Dynamische Gedächtniskodierung im Mamillarkörper

Wenn wir Gedächtnisspuren im Mamillarkörper markieren, erhalten wir jeweils ein Bild der Gedächtnisspur – eine Momentaufnahme. Aber wie sehen die Aktivitätsmuster aus, wenn Tiere – oder Menschen – ihre Umwelt erkunden und Erinnerungen an sie bilden? Um die Aktivität dieser Nervenzellen live zu „sehen“, während Erinnerungen im Gehirn gebildet werden, setzen wir fortschrittliche Mikroendoskopiemethoden ein (Ein- und Zweiphotonen-Kalzium-Bildgebung), die uns einen direkten Einblick in den Mamillarkörper des Gehirns ermöglichen. Wir werden diese Informationen nutzen, um Modelle darüber zu erstellen, wie uns die Nervenzellen im Mamillarkörper bei der Speicherung von Erinnerungen helfen.

Wie wirkt sich die Alzheimer-Krankheit auf die Struktur und Funktion der Mamillarkörper aus?

Patienten mit Alzheimer-Krankheit leiden unter schwerem Gedächtnisverlust, der mit dem Fortschreiten der Krankheit immer schlimmer wird. Wissenschaftler und Ärzte haben beobachtet, dass das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit mit dem Absterben von Zellen im Hippocampus einhergeht. Bislang ist nicht klar, ob auch im Mamillarkörper Zellen absterben und ob dieser Zelltod eine Rolle beim Gedächtnisverlust von Alzheimer-Patienten spielt. Wir werden nun systematisch untersuchen, wie sich die Alzheimer-Krankheit auf die Struktur und Funktion des Mamillarkörpers auswirkt.

Können wir Gedächtnisstörungen infolge der Alzheimer-Krankheit durch Hirnstimulation beheben?

Wenn die Zellen des Mamillarkörpers bei der Alzheimer-Krankheit relativ intakt bleiben sollten, besteht die Hoffnung, dass die Nervenzellen des Mamillarkörpers einige Funktionen des degenerierenden Hippocampus unterstützen oder übernehmen könnten. Wir werden diese Möglichkeit experimentell testen: Wir werden Protokolle entwickeln, um den Mamillarkörper in gesunden und erkrankten Gehirnen eines Alzheimer-Modells zu stimulieren. Wir gehen davon aus, dass eine solche Stimulation die krankheitsbedingte Schwächung der Eingänge aus dem Hippocampus überwinden und eine gesunde Gedächtnisfunktion wiederherstellen kann. Um diese Hypothese zu überprüfen, werden wir testen, ob eine solche Stimulation den Tieren hilft, sich an den Ort von Leckereien zu erinnern, und somit das Potenzial des Mamillarkörpers als neuronale Ressource ausloten.

Ein Blick in die Zukunft

Wir wollen die Rolle einer wichtigen Hirnregion des Gedächtnissystems – des Mammillarkörpers – für die Bildung von Erinnerungen und deren Abruf aufdecken und ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber der Alzheimer-Krankheit testen. Dieses Arbeitsprogramm wird die Grundlage dafür bilden, den Mammillarkörper als potentielle neuronale Ressource zu nutzen. Da die Tiefenhirnstimulation im Menschen zur Therapie von Störungen der Hirnfunktion – wie bei Parkinson-Patienten – bereits etabliert ist, kann unsere Forschung am Mammillarkörper zur Entwicklung neuer Therapien für Demenzerkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit beitragen.

Publikationen des Projektes A09