A05
Kognitive Flexibilität ist die Fähigkeit, unser Verhalten an ein sich veränderndes Umfeld anzupassen. Sie hängt entscheidend von der Stirnrinde, dem präfrontalen Cortex, ab. Wir untersuchen in unserem Projekt, ob und wie die extrazelluläre Matrix, die die Nervenzellen umgibt und die biophysikalischen Eigenschaften des Gehirns bestimmt, zur Regulierung der kognitiven Flexibilität bei Mäusen und Menschen beiträgt.
Gruppenleitung
Gruppenmitglieder
Was ist die Extrazelluläre Matrix?
Die Extrazelluläre Matrix (ECM) im Gehirn besteht aus einem dreidimensionalen Geflecht von Makromolekülen wie Proteoglycanen, Glycoproteinen und Hyaluronsäure. Diese Moleküle werden von den Neuronen und den Gliazellen produziert und in den Extrazellulärraum abgegeben, wo sie Gel-artige Makrostrukturen bilden. Besonders um die hemmend wirkenden Parvalbumin-positiven Zellen herum findet man sogenannte Perineuronale Netze als Spezialisierung der ECM, die die Synapsen umgeben und isolieren.
Besteht ein Zusammenhang zwischen der Hirnaktivität und
der ECM-Zusammensetzung?
Die molekulare Zusammensetzung der neuralen ECM ändert sich während der Reifung und Alterung des Hirns sowie bei Erkrankungen wie Tumoren, Hirntrauma, Epilepsie, Depression, Schizophrenie oder neurodegenerativen Krankheiten (Ulbrich et al., 2021). Auch in Abhängigkeit vom Aktivitätszustand gesunder neuronaler Netzwerke wird die ECM moduliert. Beispielsweise führt die Aktivierung von Dopamin-Rezeptoren in Neuronen der Hirnrinde dazu, dass ECM-Proteoglycane vermehrt durch extrazelluläre Proteasen gespalten werden (Mitlöhner et al., 2020). Wird die Hirn-Matrix experimentell abgebaut, dann ändern sich die plastischen Eigenschaften des Gehirns. Beispielsweise steigt die kognitive Flexibilität von Wüstenrennmäusen in einer akustischen Umlern-Aufgabe, wenn die ECM in der Hörrinde vor dem Umlernen abgebaut wird (Happel et al., 2014).
Genetische Variabilität in
ECM-kodierenden Genen
Im gesamten Genom findet sich eine Vielzahl von polymorphen Stellen, die unsere genetische Variabilität ausmachen, der auch die ECM-kodierenden Gene unterliegen. Im NCAN-Gen, welches das Proteoglycan Neurocan kodiert, gibt es einen Polymorphismus, der als genomweiter Risikofaktor für das Auftreten von neuropsychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie und bipolarer Störung gilt. Wir konnten zeigen, dass dieser Polymorphismus bei gesunden Erwachsenen mit der Gedächtnisleistung und der Aktivierung des Hippocampus in einer Lernaufgabe sowie mit der Dichte der grauen Substanz im präfrontalen Cortex korreliert (Assmann et al., 2021).
Die Ziele unseres Projektes
Wir wollen bei Nagetieren und Menschen die Bedeutung der ECM in der Stirnrinde als neurale Ressource für kognitive Flexibilität und den potentiellen Transfer dieser Leistung von einer Aufgabe auf eine andere untersuchen. Uns interessiert, ob Veränderungen in der kognitiven Flexibilität während des Alterns mit Änderungen in der Matrix einhergehen. Dabei konzentrieren wir uns insbesondere auf die Proteoglycane Neurocan und Brevican sowie auf das komplexe Kohlehydrat Polysialinsäure (PSA). Mit jungen und älteren gesunden Menschen und Mäusen werden wir Aufmerksamkeitsaufgaben und Virtual Reality-Labyrinth-Versuche durchführen. Wir wollen herausfinden, ob Verbesserungen in einem bestimmten Test sich auch auf andere Verhaltensaufgaben übertragen lassen.
Matrix-defiziente Mäuse
Um die Bedeutung der ECM für diese Prozesse zu analysieren, arbeiten wir mit Mäusen, denen die Gene für die zentralen ECM-Komponenten Brevican und Neurocan fehlen. Außerdem schalten wir bei normalen Mäusen die beiden Proteoglycane über einen Knockdown mittels shRNA spezifisch im präfrontalen Cortex aus. Damit wollen wir akute von chronischen Veränderungen in der Erregbarkeit der Neuronen und im Verhalten unterscheiden und die Bedeutung der Stirnrinde für die kognitive Flexibilität weiter herauszuarbeiten. In den Proteoglycan-defizienten Mäusen werden wir die aus dem Menschen bekannten genetischen Varianten von Neurocan und Brevican exprimieren, die mit Veränderungen kognitiver Eigenschaften einhergehen.
Matrix-Variabilität und kognitive Flexibilität beim Menschen
Auch bei unseren menschlichen Probanden testen wir die kognitive Flexibilität und deren Transfer von einer Aufgabe auf eine andere. Die Verhaltensergebnisse werden mit den wichtigsten Polymorphismen in den BCAN- und NCAN-Genen sowie mit den Konzentrationen von ECM-Komponenten und dem PSA-Kohlehydrat im Serum korreliert. Durch funktionelle Kernspintomographie ermitteln wir die beteiligten Netzwerke im Gehirn und modellieren deren Zusammenwirken über das „Dynamic Causal Modelling“. Wir messen auch die Hirnströme mittels EEG und vergleichen die Theta-Oszillationen beim Menschen direkt mit den Mausdaten.
Ein Blick in die Zukunft
Durch die parallele Arbeit mit Mäusen und Menschen wollen wir die grundlegenden Mechanismen analysieren, wie die Micro-Umgebung der Neurone in der Stirnrinde die Fähigkeit zur kognitiven Flexibilität beeinflussen kann. Der Nachweis von Komponenten der Hirn-Matrix im Serum von Patienten könnte Aufschluss über Umbauprozesse der ECM bei Krankheitsbildern, die mit einer Störung der kognitiven Flexibilität einhergehen, geben und die Entwicklung von pharmakologischen Tools stimulieren, die die Matrix-Integrität im Gehirn kontrollieren helfen.