Die Integrität der Extrazellulären Matrix als neuronale Ressource kognitiver Flexibilität

A05

A05-Graphical-Abstract

Kognitive Flexibilität ist die Fähigkeit, unser Verhalten an ein sich veränderndes Umfeld anzupassen. Sie hängt entscheidend von der Stirnrinde, dem präfrontalen Cortex, ab. Wir untersuchen in unserem Projekt, ob und wie die extrazelluläre Matrix, die die Nervenzellen umgibt und die biophysikalischen Eigenschaften des Gehirns bestimmt, zur Regulierung der kognitiven Flexibilität bei Mäusen und Menschen beiträgt.

Gruppenleitung

SFB 1436 Mitglied Alexander Dityatev

Prof. Dr. Alexander Dityatev

SFB 1436 Mitglied Björn Schott

Dr. Dr. med. Björn Hendrik Schott

SFB 1436 Mitglied Constanze Seidenbecher

Prof. Dr. Constanze Seidenbecher

Prof. Dr. Alexander Dityatev

Alexander Dityatev ist Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Neuroplastizität am DZNE Magdeburg. Er leitet ein Forschungsprogramm zur Rolle der neuronalen extrazellulären Matrix bei neurologischen und neuropsychiatrischen Erkrankungen wie Epilepsie, Alzheimer-Krankheit, vaskuläre Demenz, Depression und Schizophrenie. Seine Hauptschwerpunkte sind die Biologie der extrazellulären Matrix, synaptische Plastizität und Synaptogenese, Elektrophysiologie, Verhaltensanalyse und Zwei-Photonen-Bildgebung bei wachen Mäusen. Er fungiert als Chefeditor der Sektion „Cellular Microenvironment“ des Journals Cells.

Dr. Dr. med. Björn Hendrik Schott

Björn Schott ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen und gemeinsam mit Constanze Seidenbecher Leiter der Gruppe Synapse-Brain-Cognition in der Abteilung Verhaltensneurologie am LIN Magdeburg. Er befasst sich in seinen Forschungsarbeiten mit der Frage, inwieweit sich genetische und immunologische Faktoren auf Lern- und Gedächtnisprozesse des Menschen sowie auf deren Störung im Alter und bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen auswirken. Er fungiert als Associate Editor für Frontiers in Human Neuroscience.

Prof. Dr. Constanze Seidenbecher

Constanze Seidenbecher ist molekulare Neurowissenschaftlerin und Mitglied im Vorstand des SFB. Sie leitet zusammen mit Björn Schott die Gruppe Synapse-Brain-Cognition in der Abteilung Verhaltensneurologie des LIN Magdeburg sowie das LIN Science Management & Public Outreach Office. Ihre Forschung konzentriert sich auf synaptische Moleküle und die perisynaptische extrazelluläre Matrix des Gehirns als Determinanten der neuronalen und homöostatischen Plastizität. Sie ist Council Member in der International Society for Neurochemistry (ISN) und Vorsitzende des ISN-Karriereentwicklungsausschusses sowie Editorin für Journal of Neurochemistry.

Gruppenmitglieder

SFB 1436 Mitglied Stepan Aleshin

Dr. Stepan Aleshin

Margarita Darna

Margarita Darna

SFB 1436 Mitglied Shaobo Jia

Shaobo Jia

Platzhalter SFB 1436 Magdeburg Mitglieder kein Foto

Hadi Mirzapourdelavar

SFB 1436 Mitglied Anni Richter

Dr. Anni Richter

Platzhalter SFB 1436 Magdeburg Mitglieder kein Foto

Annabell Ernst

Dr. Stepan Aleshin

Ich arbeite als Postdoc in der Gruppe für molekulare Neuroplastizität am DZNE in Magdeburg. Ich habe einen Abschluss in Virologie (MSc) und Molekularbiologie (PhD). Während meiner wissenschaftlichen Laufbahn interessierte ich mich für Verhaltensexperimente und deren Modellierung, neurodegenerative Krankheiten und integrative/theoretische Neurowissenschaften. Neben meiner wissenschaftlichen Arbeit  Reise ich gerne und führe Orientierungsläufe durch.

Margarita Darna

Margarita ist Doktorandin am Leibniz-Institut für Neurobiologie. Sie studierte Neurobiologie und interessiert sich für menschliche Kognition. In ihrer Forschung verwendet sie nicht-invasive Methoden wie Elektroenzephalographie und Magnetresonanztomographie, um das menschliche Verhalten zu untersuchen. Durch Computer-basierte Methodenversucht sie herauszufinden, welche Faktoren bei der Kognition eine Rolle spielen könnten.

Dr. Anni Richter

Anni ist Postdoc-Wissenschaftlerin am Leibniz-Institut für Neurobiologie. Sie hat einen Hintergrund in Psychologie und ist an menschlicher Kognition interessiert. In ihrer Forschung konzentriert sie sich auf die dopaminerge Modulation des impliziten und expliziten Lernens, die Synaptogenetik des menschlichen Lernens und Gedächtnisses und multimodale Marker des neurokognitiven Alterns unter Verwendung nicht-invasiver Methoden wie der Kernspintomographie.

Was ist die Extrazelluläre Matrix?

Die Extrazelluläre Matrix (ECM) im Gehirn besteht aus einem dreidimensionalen Geflecht von Makromolekülen wie Proteoglycanen, Glycoproteinen und Hyaluronsäure. Diese Moleküle werden von den Neuronen und den Gliazellen produziert und in den Extrazellulärraum abgegeben, wo sie Gel-artige Makrostrukturen bilden. Besonders um die hemmend wirkenden Parvalbumin-positiven Zellen herum findet man sogenannte Perineuronale Netze als Spezialisierung der ECM, die die Synapsen umgeben und isolieren.

Besteht ein Zusammenhang zwischen der Hirnaktivität und
der ECM-Zusammensetzung?

Die molekulare Zusammensetzung der neuralen ECM ändert sich während der Reifung und Alterung des Hirns sowie bei Erkrankungen wie Tumoren, Hirntrauma, Epilepsie, Depression, Schizophrenie oder neurodegenerativen Krankheiten (Ulbrich et al., 2021). Auch in Abhängigkeit vom Aktivitätszustand gesunder neuronaler Netzwerke wird die ECM moduliert. Beispielsweise führt die Aktivierung von Dopamin-Rezeptoren in Neuronen der Hirnrinde dazu, dass ECM-Proteoglycane vermehrt durch extrazelluläre Proteasen gespalten werden (Mitlöhner et al., 2020). Wird die Hirn-Matrix experimentell abgebaut, dann ändern sich die plastischen Eigenschaften des Gehirns. Beispielsweise steigt die kognitive Flexibilität von Wüstenrennmäusen in einer akustischen Umlern-Aufgabe, wenn die ECM in der Hörrinde vor dem Umlernen abgebaut wird (Happel et al., 2014).

Genetische Variabilität in
ECM-kodierenden Genen

Im  gesamten Genom findet sich eine Vielzahl von polymorphen Stellen, die unsere genetische Variabilität ausmachen, der auch die ECM-kodierenden Gene unterliegen. Im NCAN-Gen, welches das Proteoglycan Neurocan kodiert, gibt es einen Polymorphismus, der als genomweiter Risikofaktor für das Auftreten von neuropsychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie und bipolarer Störung gilt. Wir konnten zeigen, dass dieser Polymorphismus bei gesunden Erwachsenen mit der Gedächtnisleistung und der Aktivierung des Hippocampus in einer Lernaufgabe sowie mit der Dichte der grauen Substanz im präfrontalen Cortex korreliert (Assmann et al., 2021).

Die Ziele unseres Projektes

Wir wollen bei Nagetieren und Menschen die Bedeutung der ECM in der Stirnrinde als neurale Ressource für kognitive Flexibilität und den potentiellen Transfer dieser Leistung von einer Aufgabe auf eine andere untersuchen. Uns interessiert, ob Veränderungen in der kognitiven Flexibilität während des Alterns mit Änderungen in der Matrix einhergehen. Dabei konzentrieren wir uns insbesondere auf die Proteoglycane Neurocan und Brevican sowie auf das komplexe Kohlehydrat Polysialinsäure (PSA). Mit jungen und älteren gesunden Menschen und Mäusen werden wir Aufmerksamkeitsaufgaben und Virtual Reality-Labyrinth-Versuche durchführen. Wir wollen herausfinden, ob Verbesserungen in einem bestimmten Test sich auch auf andere Verhaltensaufgaben übertragen lassen.

Matrix-defiziente Mäuse  

Um die Bedeutung der ECM für diese Prozesse zu analysieren, arbeiten wir mit Mäusen, denen die Gene für die zentralen ECM-Komponenten Brevican und Neurocan fehlen. Außerdem schalten wir bei normalen Mäusen die beiden Proteoglycane über einen Knockdown mittels shRNA spezifisch im präfrontalen Cortex aus. Damit wollen wir akute von chronischen Veränderungen in der Erregbarkeit der Neuronen und im Verhalten unterscheiden und die Bedeutung der Stirnrinde für die kognitive Flexibilität weiter herauszuarbeiten. In den Proteoglycan-defizienten Mäusen werden wir die aus dem Menschen bekannten genetischen Varianten von Neurocan und Brevican exprimieren, die mit Veränderungen kognitiver Eigenschaften einhergehen.

Matrix-Variabilität und kognitive Flexibilität beim Menschen

Auch bei unseren menschlichen Probanden testen wir die kognitive Flexibilität und deren Transfer von einer Aufgabe auf eine andere. Die Verhaltensergebnisse werden mit den wichtigsten Polymorphismen in den BCAN- und NCAN-Genen sowie mit den Konzentrationen von ECM-Komponenten und dem PSA-Kohlehydrat im Serum korreliert. Durch funktionelle Kernspintomographie ermitteln wir die beteiligten Netzwerke im Gehirn und modellieren deren Zusammenwirken über das „Dynamic Causal Modelling“. Wir messen auch die Hirnströme mittels EEG und vergleichen die Theta-Oszillationen beim Menschen direkt mit den Mausdaten.

Ein Blick in die Zukunft

Durch die parallele Arbeit mit Mäusen und Menschen wollen wir die grundlegenden Mechanismen analysieren, wie die Micro-Umgebung der Neurone in der Stirnrinde die Fähigkeit zur kognitiven Flexibilität beeinflussen kann. Der Nachweis von Komponenten der Hirn-Matrix im Serum von Patienten könnte Aufschluss über Umbauprozesse der ECM bei Krankheitsbildern, die mit einer Störung der kognitiven Flexibilität einhergehen, geben und die Entwicklung von pharmakologischen Tools stimulieren, die die Matrix-Integrität im Gehirn kontrollieren helfen.

Publikationen des Projektes A05