Expedition ins Gehirn

von Kathrain Graubaum

Das Gehirn ist wohl unser geheimnisvollstes Organ. Wie finden Bilder, Töne, Gerüche ihren Weg in unser Gehirn? Was macht es damit? Wie denkt das Gehirn? Wie trifft es Entscheidungen? Früher konnte nur nach dem Tod eines Menschen dessen Schädel geöffnet werden, um neugierig Einblick in die graue und weiße Hirnsubstanz zu nehmen. Später ermöglichten Röntgenstrahlen den Blick in lebende Gehirne. Die Strahlen sind jedoch zellschädigend und geben keine Aussage über Hirnfunktionen. Mittlerweile wird Spitzenforschung auf dem Gebiet der Neurowissenschaften mittels bildgebender Methoden betrieben. Hochmoderne Ingenieurtechnik steckt in den Magnetresonanztomographen, die ein starkes, statisches Magnetfeld nutzen, um scharfe Bilder herzustellen. „Haus 92“ ist auf dem Medizinercampus der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg der Standort des modernsten 7-Tesla-MRT der Welt.

„Legen Sie Ihr Handy und Ihre Kreditkarten ab, könnte sein, dass alles darauf gelöscht wird“, rät Prof. Dr. Oliver Speck Besucherinnen und Besuchern. Der Physiker und Experte für biomedizinische Magnetresonanz kann Geschichten erzählen – etwa von einem Fotografen, dessen Kameraausrüstung in die MRT-Röhre hineingezogen wurde. Die Magnetresonanztomographie ist ein gesundheitlich unbedenkliches Bildgebungsverfahren, ihr einziges Risiko liegt in der nicht zu unterschätzenden magnetischen Anziehungskraft von metallischen und ferromagnetischen Gegenständen. „Die werden im Wirkungsfeld des Magneten stark beschleunigt“, informiert der Professor bevor er seinen Besuchern die „Röhre“ erklärt. Seit dem Frühjahr 2023 sorgt sie für Aufsehen in der Fachwelt: Mit dem Magnetom Terra.X, Impulse Edition, Baujahr 2022, besitzt die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg den europaweit leistungsstärksten 7-Tesla-Magnetresonanztomographen (MRT). Es gibt noch einen zweiten dieser Stärke, der steht an der University of California in Berkeley in den USA.

Oliver Speck

Prof. Oliver Speck (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Magnetom Terra.X, Impulse Edition – das klingt nach Faszination des Unbekannten, nach spannenden Rätseln und ganz neuen Wegen zur Lösung. Oliver Speck kann das nur bestätigen: „Mit diesem neuen MRT können wir einen noch tieferen Blick in das menschliche Gehirn werfen, zum Beispiel in den Kortex.“ Die Hirnrinde ist nur zirka drei Millimeter dick und enthält die Neuronen; Nervenzellen, die für die unfassbare Leistungsfähigkeit des Gehirns verantwortlich sind. Da stellt sich die Frage, ob das Gerät dem Menschen beim Denken zuschauen kann. „Wir erhoffen uns Erkenntnisse über das Empfangen, Verarbeiten und Weiterleiten der neuronalen Signale. Erst wenn wir verstehen, wie die Signalübertragung funktioniert, können wir erkennen, wenn sie gestört ist“, erklärt der Professor im Hinblick auf das Verstehen von Krankheiten. Und er fügt hinzu: „Wir nennen unser Gerät 7-Tesla-Connectome-MRT, da wir damit die Mikrostrukturen der Nervenverbindungen zwischen den Hirnarealen, das sogenannte Gehirn-Connectome, vermessen.“ Mit diesem 7-Tesla-MRT neuester Generation, sagt er, würden Hirnfunktionen und -strukturen in bislang unerreichter Präzision abgebildet. Unterstützt von künstlicher Intelligenz könnten Molekülbewegungen erfasst und Rückschlüsse auf die Nervenverbindungen gezogen werden.

Europaweit einzigartige Ausstattung gemeinsam nutzen

Die Uni Magdeburg ist damit einmal mehr ein Standort mit europaweit einzigartiger Forschungsinfrastruktur. Denn bereits 2004 wurde hier innerhalb Europas der erste 7-Tesla-MRT für menschliche Anwendungen installiert. 2006 kam Oliver Speck an die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, um den Standort samt breitem Netzwerk für bildgestützte Hirnforschung auszubauen. Seine damals gegründete Abteilung „Biomedizinische Magnetresonanz“ ist Teil des Instituts für Physik an der Fakultät für Naturwissenschaften und auf dem Campus der Medizinischen Fakultät angesiedelt – in unmittelbarer Nähe zum Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) und zur Universitätsklinik für Neurologie.

Knapp eine Million Euro hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG für den Aufbau einer so genannten Core Facility bewilligt, einer gemeinsam genutzten Forschungsinfrastruktur. Oliver Speck leitet die Magdeburger UHF-MR Core Facility. Deren Kurzbezeichnung steht für Ultra-High-Field-Magnetresonanz. Die physikalische und digitale Kooperationsplattform für Forschungen am Gehirn wird Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität, des Leibniz-Instituts für Neurobiologie (LIN), des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG) sowie des Magdeburger Forschungscampus STIMULATE zur Verfügung stehen. „Zudem wurde 2013 das Forschungsnetzwerk GUFI gegrüdet, in das alle deutschen 7-Tesla-Betreiber eingebunden sind sowie einige aus Frankreich, Österreich, aus der Schweiz und den Niederlanden“, ergänzt Oliver Speck. GUFI steht für „German Ultrahigh Field Imaging“ und befasst sich unter anderem mit Standards zur Qualitätssicherung, mit Ausbildung und Kooperation. Denn bislang darf solch ein 7-T-Connectome-MRT wie in Magdeburg nicht in der Klinik eingesetzt werden. „Er ist neuer als die neueste zugelassene Generation und selbst auch ein Gegenstand unserer Forschung“, schwärmt Oliver Speck, der gleichzeitig Sprecher des Center for Advanced Medical Engineering CAME der Uni Magdeburg ist. „Wir können dem Gerät neue Kunststücke beibringen. Physiker, Ingenieure und Medizintechniker tüfteln daran, wie man dem Gerät durch Programmierung noch weitere Fähigkeiten geben kann – beispielsweise die Kompensierung der Kopfbewegungen.“ KI-basierte Algorithmen sollen die MRT-Aufnahmen beschleunigen und somit die Bildqualität verbessern, damit feinste Strukturen im Gehirn noch klarer zu erkennen sind.

Weltweit meiste Untersuchungen mit MRT

15 Millionen Euro hat der Ultra-High-Field-MR inklusive Einhausung gekostet. Jetzt steht er direkt neben dem europaweit ersten 7-Tesla-MRT von 2004. Der wurde kürzlich auf den aktuellen Stand der Ultrahochfeld-Technik aufgerüstet. Beide Geräte sind Teil des Center for Advanced Medical Engineering CAME. Probanden für verschiedene Forschungsstudien kommen hierher. In Magdeburg wurden mittlerweile die weltweit meisten hochauflösenden 7-Tesla-Untersuchungen am Menschen durchgeführt. „Spitzen“forschung bedeutet hier tatsächlich arbeiten auf höchstem Niveau.

Dr. Anne Maass ist in Auszeichnung ihrer wissenschaftlichen Arbeit für die kommenden zwei Jahre auf die Dorothea-Erxleben-Gastprofessur der Universität Magdeburg berufen worden. Sie leitet am DZNE eine Nachwuchsforschungsgruppe und nutzt die MRT, um besser zu verstehen, wie sich das Gehirn und dessen Funktion im Alter und bei altersbedingten Erkrankungen verändertProf. Dr. Stefanie Schreiber ist eine forschende Neurologin. Neben ihrer Arbeit als Oberärztin in der Universitätsklinik für Neurologie leitet sie eine klinische und eine DZNE-Arbeitsgruppe, die sich mit verschiedenen Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems befassen. Beide Wissenschaftlerinnen gehören zur Gruppenleitung eines Sonderforschungsbereiches, der von der DFG gefördert wird, um die „Neuronalen Ressourcen der Kognition“ zu erforschen.

Anne Maaß

 Dr. Anne Maass (links) und Prof. Dr. Stefanie Schreiber (rechts) (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Als neuronale Ressourcen werden Funktionen und Strukturen im Gehirn bezeichnet, wie zum Beispiel Durchblutung, Hirnvolumen und Myelin. Letzteres ist eine fetthaltige Substanz, die die Reizleitung im Gehirn ermöglicht und beschleunigt. „Wir wollen die neurobiologischen Ursachen für die individuell unterschiedlichen neuronalen Ressourcen von Personen erkennen“, sagt Anne Maass und, dass der Hippokampus, der für Gedächtnisleistung und Lernprozesse verantwortlich ist, dabei im Fokus steht. Wie die Blutgefäße den Hippokampus versorgen, habe einen großen Einfluss auf Gedächtnisleistung und deren altersbedingtes Nachlassen sowie auf die Manifestierung von Gehirnerkrankungen, ergänzt Stefanie Schreiber. In ihrem Klinikalltag spielen vaskuläre und Mischdemenzen infolge einer gestörten Durchblutung des Gehirns eine wichtige Rolle. Die Nervenzellen werden dadurch geschädigt oder sterben ab, was zu Alzheimer-ähnlichen Symptomen führen kann. „Kleinste Risse im Gefäßsystem können dafür mitverantwortlich sein. Würden sie im frühen Krankheitsstadium entdeckt, könnte eventuell einem weiteren Verlauf entgegengewirkt werden“, sagt die Ärztin.

Dass jetzt der 7-T-Connectome-MRT in fußläufiger Nähe steht, bietet dem Forschungsteam beste Rahmenbedingungen. Die hochauflösende Bildgebung macht beispielsweise solche feinen Gefäßrisse klar und deutlich sichtbar. Auch frühste Veränderungen in der Gehirnfunktion oder Struktur, die durch Protein-Ablagerungen bei der Alzheimer-Erkrankung verursacht werden, könnten auf den Bildern des neuen 7-Tesla-MRT zu sehen sein, betont Anne Maass, die sich mehr Erkenntnisse über diese Krankheit erhofft. „Unstrittig ist“, so die Neurowissenschaftlerin, „dass sich körperliches Fitnesstraining positiv auf die Durchblutung des Hippokampus auswirkt. Aber über die Mechanismen dabei wissen wir noch nicht viel.“

Probanden gesucht

Werden im Gehirn Botenstoffe aktiviert? Wie gelingt es ihnen, die Neurone fit zu halten? Es bleibt spannend, welche Geheimnisse Magnetom Terra.X dem Gehirn entlocken wird. Übrigens würden Probanden gesucht, die mit auf Entdeckungsreise ins Gehirn gehen, so die Botschaft des Forschungsteams. Neben den kognitiv hochleistungsfähigen „Super-Agern“ im Alter über 80 oder Patienten mit verschiedenen altersbedingten Hirnerkrankungen seien auch junge Leute willkommen. Interessierte können sich unverbindlich auf der Website des DZNE registrieren.

Guericke facts

  • Der zylinderförmige Magnet des 7-T-MRT ist fast drei Meter lang, hat einen Durchmesser von ebenfalls knapp drei Metern und ist 17 Tonnen schwer.
  • Ein Kühlschrankmagnet hat etwa 0,05 Tesla. Der 7-T-MRT ist 140-mal so stark und das nicht nur in einem Volumen von wenigen Millimetern, sondern in einem Bereich von ca. 50 x 50 x 50 cm
  • Die mittlere Stärke des Erdmagnetfeldes in Deutschland ist 50 Mikrotesla. 7 T sind also das 140.000-fache des Erdmagnetfeldes.

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